Jung trifft Alt – zunächst per Brief, dann live

 

Schrenzerschülerinnen und – schüler nach Briefwechsel zu Gast im Seniorenheim „Haus Evergreen“

Butzbach (pm). „Lieber Mensch“ war der Titel eines Schreibprojekts des Wahlpflicht-Kurses „Kreatives Schreiben“ der Schrenzerschule, in dem Jugendliche der Jahrgänge 9 und 10 einmal pro Woche für zwei Stunden arbeiten. Dabei hatten diese u.a. die Aufgabe, Briefe an ihnen unbekannte Seniorinnen und Senioren zu verfassen, in denen sie von sich berichten und den älteren Herrschaften Fragen stellen sollten. Die gesammelten Werke schickte Lehrerin Kim Eva Voigt-Hilberger dann ins Haus Evergreen. Barbara Mahlich vom Sozialen Dienst des Hauses nahm sich der Sache gerne an und verteilte die Post unter den Bewohnern. Wer noch selbst schreiben konnte, legte los, wer nicht mehr selbst schreiben konnte, diktierte ihr und den engagierten Pflegerinnen teilweise seitenlange, sehr ehrliche Antworten, andere schrieben ihre Texte am PC und alle Briefe erreichten später die Schule.
Die Schülerinnen und Schüler des Kurses staunten nicht schlecht, als sie ihre Post vorgelegt bekamen. Manche Schriften waren schwer lesbar, aber gemeinsam wurden schlussendlich alle Texte erfasst und verstanden. Da gab es schon das ein oder andere Tränchen vor Rührung…

Die Briefe der Seniorinnen und Senioren wurden wieder beantwortet und zwischenzeitlich organisierten Fr. Mahlich und die Deutschlehrerin ein Treffen, bei dem sich Jung und Alt dann persönlich kennenlernen durften. Gespannt warteten so letzte Woche die beteiligten Altenheimbewohner auf die Ankunft des ‚Jungvolks‘. In einer kurzen Vorstellungsrunde fanden alle Mitwirkenden heraus, wer denn eigentlich ihre Schreibpartnerinnen und -partner waren. Anschließend löste sich die Großgruppe auf und die jungen Menschen zogen sich mit ihren Brieffreundschaften zu persönlichen Gesprächen zurück. Teilweise saßen sie auf den Fluren, andere nahmen die jungen Autorinnen und Autoren mit auf ihre Zimmer. Zu beobachten war eine schnelle Vertrautheit unter den Schreibpartnern, viel Fröhlichkeit während der Gespräche und hier und da wurden nach kürzester Zeit schon „Händchen gehalten“. Schwieriger war es manchmal bei den Demenzkranken, doch nach kurzer Erinnerung an den Briefwechsel liefen die Unterhaltungen wieder.

„Was für eine großartige Idee von Ihnen!“, bekam Fr. Voigt-Hilberger mehrmals zu hören. „Wissen Sie, man unterhält sich hier auch miteinander, aber das heute ist etwas ganz anderes: Frisches Blut tut so gut!“ „Ganz schön mutig von Ihnen, Sie wussten ja vorher nicht, ob das alles so klappt.“ Es hat geklappt und auch für die Jugendlichen war es auch eine tolle Erfahrung, einige Mädchen wollten gleich in der darauffolgenden Woche nochmals hin.
Viele Briefeschreiber haben Adressen oder Telefonnummern ausgetauscht, um auch weiterhin in Kontakt zu bleiben, das ist gut so, denn die meisten aus dem Kurs verlassen bald die Schule und können nicht mehr von der Lehrerin angespornt werden.
Nach dem Besuch im Evergreen hatten die jungen Menschen die Aufgabe, einen kurzen Erfahrungsbericht über das Projekt zu schreiben, was sie auch getan haben:
Schülerin Julietta hatte mehrere Gesprächspartnerinnen und zeigte sich am meisten beeindruckt von den Geschichten der Damen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als   Trümmerfrauen geschuftet haben und später in Fabriken und Büros arbeiten gingen, um den Lebensunterhalt für die Familien zu verdienen. „Die Damen haben mir viel Respekt eingeflößt. Ihre Geschichten zeigen viel Mut und Durchhaltevermögen. Diese Begegnungen haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, den Erfahrungen der älteren Generation Beachtung zu schenken und ihre Lebensgeschichten zu würdigen.“ Auch Schüler Serdar wurde nach dem Besuch   Brieffreundes Herrn Ferit beinahe philosophisch: „Ich glaube definitiv, dass dieser Besuch meine Charakterentwicklung und meine Sicht auf die Welt beeinflusst hat.“
Schülerin Ash blieb der Satz ihrer Brieffreundin Rosamunde im Ohr: „Wenn man in einem Pflegeheim ist, weiß man, dass es die letzte Station im Leben ist, deswegen hat mich euer Besuch ganz besonders gefreut.“
Die Seniorinnen Lore und Rita waren die Schreibpartnerinnen von Mia, die besonders die Lebensfreude und Freundlichkeit der beiden Damen schätzte: „Als Lore erfahren hat, dass ich eine Präsentation über die ehemalige DDR vorbereiten muss, hat sie mir direkt geholfen. Ich habe jetzt Informationen aus erster Quelle. Sie hat sich derart gefreut, dass ich sie besucht habe, obwohl das für mich nichts Besonderes oder Großartiges ist.“ Für Schüler Kevin war es der erste Besuch in einem Pflegeheim, er zeigte sich berührt von den Lebensweisheiten und Ratschlägen der Senioren und sagte: „Es war am Ende des Besuchs klar, dass der Tag sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Bewohner des Hauses Evergreen sehr bereichernd war.“
Schüler Tristan zeigte sich angetan von der Kreativität und dem Wissen seines Schreibpartners Robert, der sich ein Fahrrad mit drei Rädern als Bausatz bestellt hat und alles allein zusammengebaut hat, um mobiler zu sein. Auch sein Lebenswille beeindruckte, merkt man ihm doch kaum an, dass er einmal einen kompletten Sprachverlust erlitten hatte und sich mit Hilfe von Logopäden und viel Üben wieder großartig erholt hat. Die Freundlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren große Geduld und die positive Arbeitshaltung fielen nicht nur Tristan, sondern auch seiner Lehrerin positiv auf.
Jane war zu Beginn des Treffens mit Bewohnerin Ingeborg etwas verunsichert, da diese erst einmal nicht wusste, worum es bei dem Treffen ging, aber nach der entsprechenden Erinnerung an den Briefwechsel lief das Gespräch zwischen den beiden gut. „Überrascht hat mich am meisten, dass auch jüngere Personen (unter 60 Jahren) schon im Altenheim sind. Der Tag hat mir rundum sehr viel Spaß gemacht und die Heimbewohner haben sich auch sehr gefreut. Oft habe ich sie lächeln sehen oder lachen gehört.“
Giulias Partnerin war u.a. Heimbewohnerin Ursula, die früher Ärztin war und auch sie machte einen lebensbejahenden Eindruck, zeigte fröhlich ihr Zimmer, das gespickt ist mit Fotos ihrer Enkel, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. „Man kann froh sein, wenn man noch laufen kann!“, sagt Ursula, die der Meinung ist, dass man einen Aufenthalt im Pflegeheim nicht zwingend mit Unglück verbinden muss. Er biete die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen, außerdem sei es gut, dass sich niemand aus der Familie für ihre Pflege opfern müsse. „Man wird ja dennoch von seinen Kindern und Enkeln geliebt und besucht.“
Lukas Schreibpartner Ralf stammt aus der ehemaligen DDR. „Wir haben uns direkt sehr gut verstanden“, sagt Lukas, „ich habe von Ralf sehr viel über das Leben in der damaligen DDR erfahren. So hat Ralf mit 18 Jahren einen ‚Trabi‘ bestellt und musste dann zehn Jahre darauf warten. Für mich war es etwas anderes, viele Dinge von einem Zeitzeugen zu erfahren, als darüber im Unterricht zu sprechen. Ich bin der Meinung, dass dieser Besuch im Haus Evergreen war für alle Beteiligten ein sehr schönes Erlebnis und ich würde das gerne wiederholen.“
Schüler Karim berichtet über seine Erfahrungen: „Ich hatte das Vergnügen, mit Rentner Harald zusammenzutreffen. Unsere schriftliche Kommunikation hatten bereits eine Grundlage geschaffen, die es uns ermöglichte, sofort tiefere Gespräche zu führen. Es war faszinierend seine Geschichten und Erfahrungen zu hören. Das Gespräch mit Harald hat mir gezeigt, wie wichtig und erfüllend es sein kann, Zeit mit älteren Menschen zu verbringen und aus ihren Lebenserfahrungen zu lernen. Der Austausch mit Harald und den anderen Bewohnern war nicht nur schön, sondern auch lehrreich und inspirierend. Ich bin überzeugt, dass solche Projekte sowohl für die junge als auch für die ältere Generation von großer Bedeutung sind und freue mich auf zukünftige Gelegenheiten, ähnliche Erfahrungen machen zu dürfen.“

„Die Briefe, das Engagement aller Beteiligten, das Kennenlernen, der respektvolle Umgang miteinander, die liebevollen Gespräche, der Lernzuwachs auf beiden Seiten – das alles hat mich sehr bewegt. Das Projekt war ein voller Erfolg und es freut mich außerordentlich, dass dies alle Beteiligten auch so sehen.“, so Voigt-Hilberger.